Blut, Krebs und Infektionen

Erkrankungen des Bluts

Blutarmut

Blutarmut (Anämie): Mangel an rotem Blutfarbstoff, dem Hämoglobin und meist auch an roten Blutkörperchen im Blut. Die Blutarmut ist die häufigste Bluterkrankung überhaupt, wobei Frauen häufiger betroffen sind als Männer. Bedingt ist sie durch verminderte Bildung oder gesteigerten Abbau von roten Blutkörperchen sowie durch Blutverlust. Therapie und Prognose sind abhängig von der Ursache der Blutarmut.

Leitbeschwerden

Keine oder nur minimale Beschwerden bei langsamer Entwicklung

Ansonsten:

  • Müdigkeit, Leistungsknick, Schwindel
  • Blässe der Haut und Schleimhäute, wobei die Beurteilung der Schleimhäute zuverlässiger ist (zu große Spannbreite der „normalen“ Hautfarbe)
  • Bei Eisenmangel als Ursache außerdem trockene Haut (Mundwinkeleinrisse), Zungenbrennen und brüchige Nägel
  • Herzklopfen und Atemnot bei Anstrengung
  • Zusätzliche Begleiterscheinungen je nach Grunderkrankung, z. B. starke und/oder häufige Regelblutungen oder schwarzer Stuhlgang

Wann zum Arzt

In den nächsten zwei Wochen bei uncharakteristischen Beschwerden, die zur Blutarmut passen

In den nächsten Tagen, wenn zusätzlich schon bei leichter körperlicher Anstrengung Herzklopfen, Atemnot oder sehr häufiges Schwindelgefühl auftreten

Die Erkrankungen

Abhängig von der Grunderkrankung wird die Blutarmut in drei Gruppen unterteilt:

  • Verminderte Bildung funktionstüchtiger roter Blutkörperchen
  • Blutarmut durch gesteigerten Abbau roter Blutkörperchen
  • Blutarmut durch Blutverlust

Verminderte Bildung funktionstüchtiger roter Blutkörperchen

Diese Gruppe macht den Löwenanteil aus. Normalerweise werden die roten Blutkörperchen im Knochenmark gebildet, vorausgesetzt, alle notwendigen Baustoffe sind in ausreichender Menge vorhanden. Wenn es an einem dieser Ausgangsstoffe (z. B. Eisen, Vitamin B12) mangelt, werden nicht genügend oder funktionsgestörte Blutkörperchen gebildet (Anämie durch Erythropoesestörung):

Mangel an Eisen. Meist liegt der Engpass beim Eisen, das für die Bildung des roten Blutfarbstoffs (Hämoglobin) unverzichtbar ist. Diese Eisenmangelanämie macht allein 80 % aller Fälle von Blutarmut aus. Der Eisenmangel ist im Erwachsenenalter oft Folge von chronischen Blutverlusten, etwa durch zu starke Regelblutungen bei Frauen oder ständige Sickerblutungen aus Magen oder Darm bei Magen-Darm-Geschwüren bzw. -tumoren. Auch eine unzureichende Eisenzufuhr mit der Nahrung fördert eine Eisenmangelanämie. Frauen sind dabei besonders gefährdet, denn sie haben wegen der Regelblutung einen erhöhten Eisenbedarf. Während der Schwangerschaft steigt der Eisenbedarf sogar auf das Doppelte an, was die Schwangere bei ihrer Ernährung beachten muss. Auch Blutspender benötigen mehr Eisen. Seltener führen Darmerkrankungen oder -operationen zu einer ungenügenden Eisenaufnahme aus dem Darm trotz normaler Eisenzufuhr. Die meisten Betroffenen mit Eisenmangelanämie weisen nur die oben dargestellten uncharakteristischen Beschwerden der Blutarmut auf.

Wie die Abbildung zeigt, entspricht die tägliche Eisenaufnahme in etwa der täglichen Eisenausscheidung – eine allzu große Reserve gibt es im Eisenhaushalt also nicht. Daher führt bereits eine verhältnismäßig geringe Steigerung des Eisenverlusts oder des Eisenbedarfs bei längerem Bestehen zu einer Eisenmangelanämie.

Wie die Abbildung zeigt, entspricht die tägliche Eisenaufnahme in etwa der täglichen Eisenausscheidung – eine allzu große Reserve gibt es im Eisenhaushalt also nicht. Daher führt bereits eine verhältnismäßig geringe Steigerung des Eisenverlusts oder des Eisenbedarfs bei längerem Bestehen zu einer Eisenmangelanämie.

Weitere Infos zu Eisen und Eisenbedarf bzw. Ferrum

Eisenmangel ist keine Diagnose, mit der man sich zufrieden geben darf, sondern ein Symptom, dessen Ursache geklärt werden muss.

Mangel an Vitamin B12 und Folsäure. Bei einem Vitamin-B12- und/oder Folsäuremangel reifen die Vorstufen der roten Blutkörperchen im Knochenmark nicht richtig heran, in der Folge gibt es zu wenige funktionsfähige rote Blutkörperchen. Aufgrund der abnormen Größe der gebildeten Blutkörperchen werden diese Formen der Blutarmut auch als megaloblastäre Anämien zusammengefasst (mega = groß; Blast = Vorstufe einer Zelle).

Eine Folsäuremangelanämie kommt verhältnismäßig häufig vor, da die Versorgung mit Folsäure auch normalerweise schon schlecht ist und das Vitamin zudem vom Körper nicht gespeichert wird, sodass bereits eine leichte Fehlernährung zu einem relevanten Mangel führen kann.

Die Vitamin-B12-Mangelanämie ist am häufigsten durch eine autoimmunbedingte Magenschleimhautentzündung verursacht, die zu einer Aufnahmestörung von Vitamin B12 führt. Dadurch kommt es zu einer Blutarmut, kombiniert mit Missempfindungen (z. B. Kribbeln) und Gangstörungen, da auch das Nervensystem unter dem Vitaminmangel leidet. Diese Form der Vitamin-B12-Mangelanämie heißt auch perniziöse Anämie (Perniziosa). Darmerkrankungen, z. B. chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, können durch eine verminderte Vitaminaufnahme aus dem Darm sowohl zu einem Vitamin-B12- als auch zu einem Folsäuremangel führen. Seltenere Ursachen sind Magenoperationen oder Fehlernährung.

Infos zu Folsäure in der Schwangerschaft

Weitere Ursachen. Auch bei vielen lang anhaltenden Entzündungen oder Tumoren ist der Eisenhaushalt gestört. Bei dieser Anämie der chronischen Erkrankung besteht allerdings kein Eisenmangel, sondern das ausreichend vorhandene Eisen wird nicht richtig in die roten Blutkörperchen eingebaut (Eisenverwertungsstörung).

Die Bildung der roten Blutkörperchen wird normalerweise durch das in den Nieren gebildete Hormon Erythropoetin stimuliert. Bei fortgeschrittenen Nierenfunktionsstörungen (chronisches Nierenversagen) ist zu wenig des Hormons vorhanden, und eine renale Anämie (nierenbedingte Blutarmut) ist die Folge.

Selten, aber ernst ist eine Blutarmut durch eine Schädigung der Blutstammzellen im Knochenmark, die aplastische Anämie. Nur manchmal lässt sich eine Ursache finden wie etwa bestimmte Medikamente, Gifte, Strahlen oder Viren. Häufig sind rote und weiße Blutkörperchen sowie Blutplättchen vermindert, was von den Medizinern dann als Panzytopenie bezeichnet wird.

Blutarmut durch gesteigerten Abbau roter Blutkörperchen

Ist der Abbau der roten Blutkörperchen (Hämolyse) nur mäßig bis leicht beschleunigt, kann das Knochenmark den Verlust durch eine gesteigerte Bildung noch ausgleichen. Wenn aber massenweise rote Blutkörperchen vorzeitig zugrunde gehen und dieser Verlust höher ist als die Nachproduktion im Knochenmark, bildet sich eine hämolytische Anämie aus. In schweren Fällen hat der Betroffene eine gelbliche Hautfarbe, da sich durch den gesteigerten Abbau der roten Blutkörperchen der gelbliche Gallenfarbstoff Bilirubin anhäuft. Zusätzlich besteht eine Milzvergrößerung.

Angeborene hämolytische Anämien. Am häufigsten sind hämolytische Anämien angeboren und zeigen sich dann bereits im Kindesalter: Kennzeichnend für den Favismus durch Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel – einen ererbten Enzymdefekt – ist eine schubweise Blutarmut, wobei die Schübe durch den Verzehr von Saubohnen (Favabohnen, daher der Name), bestimmte Arzneimittel oder Infektionen ausgelöst werden. Bei der Kugelzell[en]anämie (Sphärozytose) führen Fehler in der äußeren „Umhüllung“ (Zellmembran) zu einer Kugelform der sonst eher platten roten Blutkörperchen und damit zu einem beschleunigten Abbau. Bei der Sichelzell[en]anämie und den Thalassämien werden „falsche“ rote Blutfarbstoffe gebildet. Bei der Sichelzellenanämie neigen die roten Blutkörperchen dadurch zu einer Sichelform mit daraus resultierenden Durchblutungsstörungen. Die Thalassämie ruft je nach Form und Ausprägung sehr unterschiedlich starke Beschwerden hervor, darunter eine schwere Blutarmut und Knochenveränderungen. Sichelzellenanämie und Thalassämie sind in Mitteleuropa selten, sie betreffen vor allem Asiaten, Afrikaner und Bewohner der Mittelmeerländer.

Erworbene hämolytische Anämien. Entstehen hämolytische Anämien erst im Erwachsenenalter, sind meist Autoimmunerkrankungen, Medikamente, Infektionen oder Krebs, vor allem Lymphome, die Ursache.

Blutarmut durch Blutverlust

Die dritte Gruppe der Anämien ist die Blutarmut durch Blutverlust (Blutungsanämien), z. B. nach einer schweren Geburt, nach einem Unfall oder nach einer Operation, wenn mehr als 1–2 Liter Blut verloren wurden. Damit die Blutgefäße, z. B. nach einer Verletzung, „gefüllt“ bleiben, fließt Gewebewasser ein und verdünnt das Blut, sodass der Gehalt des roten Blutfarbstoffs und der roten Blutkörperchen im Blut sinkt – eine Blutarmut entsteht. In der Folge wird die Produktion der roten Blutkörperchen angekurbelt, um für Ersatz zu sorgen. Bildet sich im Rahmen dieser Produktionssteigerung ein (relativer) Eisenmangel aus, spricht man – etwas inkonsequent – ebenfalls von einer Eisenmangelanämie.

Das macht der Arzt

Das kleine Blutbild, genauer gesagt der Hämoglobinwert, sichert nicht nur die Diagnose einer Blutarmut, sondern gibt auch durch Angaben zu Größe und Blutfarbstoffbeladung der roten Blutkörperchen erste Hinweise auf die Ursache.

Die weitere Eingrenzung der Ursache erfolgt zunächst durch Blutuntersuchungen, z. B. durch Bestimmung der Retikulozyten (ganz junge rote Blutkörperchen) zur Einschätzung der Bildungsrate der roten Blutkörperchen, durch Ferritin- und Transferrinbestimmung zur Einschätzung des Eisenhaushalts, durch Vitaminspiegelbestimmung (Folsäure; Vitamin B12) oder Antikörpersuche. Im weiteren Verlauf können zusätzliche Untersuchungen erforderlich werden, etwa eine Magen- und/oder Darmspiegelung zum Aufspüren einer Blutungsquelle bei einer Eisenmangelanämie, eine Magenspiegelung bei Vitamin-B12-Mangelanämie zur Sicherung der Magenschleimhautentzündung oder eine Knochenmarkpunktion bei Verdacht auf eine Blutbildungsstörung im Rahmen einer Knochenmarkerkrankung.

Diese Untersuchungen sind nötig, da die Behandlung der Blutarmut je nach Ursache völlig unterschiedlich ist:

  • Bei einer Eisenmangelanämie wird eine ursächliche Magen- oder Darmerkrankung behandelt (gegebenenfalls Beseitigung einer Blutungsquelle) und das fehlende Eisen durch Tabletten (z. B. Ferro sanol®, Lösferron®) zugeführt.

Eisentabletten wirken am besten, wenn sie morgens auf nüchternen Magen geschluckt werden. Viele Patienten vertragen dies aber nicht, sie sollten die Tabletten dann besser zum Frühstück einnehmen. Die Eisentabletten unbedingt mit viel Flüssigkeit und möglichst mit aufrechtem Oberkörper einnehmen, damit sie sich nicht an Engstellen der Speiseröhre festsetzen und dort zu Geschwüren führen. Eine gute Alternative sind Brausetabletten. Zu anderen Medikamenten ist ein zeitlicher Abstand von zwei Stunden einzuhalten, weil Eisen dazu führt, dass andere Medikamente nicht richtig vom Darm aufgenommen werden. Ebenso sollten in zeitlicher Nähe zur Tabletteneinnahme keine größeren Mengen an Nahrungsmitteln verzehrt werden, die die Eisenaufnahme hemmen. Dazu zählen etwa Milch und Milchprodukte, Tee und Hülsenfrüchte. 

Präparate erster Wahl sind Eisen(II)-sulfate, da diese direkt resorbierbar sind. Bei Unverträglichkeit kann auf dreiwertige Eisen(III)-Präparate umgestiegen werden, die jedoch vom Körper vor der Resorption erst zu zweiwertigen reduziert werden müssen. Um die Eisenspeicher wieder aufzufüllen, muss die Behandlung mehrere Monate lang durchgeführt werden (Faustregel: nach Normalisierung des Blutbilds noch einmal die gleiche Zeit). Nicht erschrecken, wenn der Stuhlgang schwarz wird – das kommt von den Eisentabletten. Bei einer Unverträglichkeit trotz Präparatwechsel kann Eisen auch in die Vene gespritzt oder als Kurzinfusion gegeben werden, was in der Hausarztpraxis problemlos durchführbar ist.

  • Auch Vitamin B12 und Folsäure können medikamentös ersetzt werden, wobei bei einer perniziösen Anämie Spritzen erforderlich sind, da Vitamin B12 aus Tabletten nicht aufgenommen wird. Die ursächliche Magenschleimhautentzündung bedarf wegen des erhöhten Magenkrebsrisikos jährlicher Kontrollen durch eine Magenspiegelung.
  • Bei der Anämie der chronischen Erkrankung ist die Behandlung der Grundkrankheit vorrangig. Wird z. B. die Entzündung besser, verschwindet die Blutarmut von selbst. Eine Eisengabe ist zwecklos, da das Eisen nicht verwertet wird.
  • Die renale Anämie ist heute durch gentechnisch hergestelltes Erythropoetin (z. B. ERYPO®), das unter die Haut gespritzt wird, gut behandelbar.
  • Bei den hämolytischen Anämien hängt die Behandlung von der Ursache ab. Bei vielen angeborenen Formen bessert eine Milzentfernung die Beschwerden – sie ändert zwar nichts an dem „Webfehler“ in den roten Blutkörperchen, verlängert aber deren Überlebenszeit und bessert so die Symptome der Blutarmut. Bei einigen hämolytischen Anämien des Erwachsenen und der aplastischen Anämie kann die Behandlung sehr schwierig sein und eine Immunsuppression (Unterdrückung des Immunsystems), in Extremfällen sogar eine Blutstammzelltransplantation notwendig machen.
  • Bluttransfusionen sind nur bei sehr ausgeprägter Blutarmut erforderlich.

Komplementärmedizin

Die Pflanzenheilkunde bietet viele Saft- oder Teekuren, gebraut aus eisenhaltigen Pflanzen wie Brennnessel, Löwenzahn, Tausendgüldenkraut, Quecke, Brombeere (Blätter) oder Ackerschachtelhalmkraut. Diese können einen Eisenmangel jedoch nicht ausgleichen. Es spricht aber nichts dagegen, sie unterstützend zur medikamentösen Behandlung einzusetzen.

Selbsthilfe

Eisen. Eine wichtige Eisenquelle ist (rotes) Fleisch, aber auch Eier, Geflügel und Fisch liefern den wichtigen Mineralstoff. In puncto Eisen allzu einseitig auf Fleisch zu bauen ist wegen des hohen Fettgehalts von Fleisch (bei gleichzeitig ungesundem Fettsäureprofil) jedoch nicht gesund. Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte und grüne Gemüse enthalten ebenfalls viel Eisen. Um die Eisenaufnahme aus der Nahrung zu verbessern, sollten pflanzliche Eisenträger zusammen mit Vitamin C gegessen werden (z. B. Erbsen mit Kartoffeln oder Vollkornprodukte mit frischem Orangensaft oder Paprika). Damit erreichen Sie zweierlei: Die Eisenaufnahme wird gesteigert und einem Vitamin-C-Mangel wird vorgebeugt, der ebenfalls zu einer Blutarmut führen kann (auch wenn dies hierzulande sehr selten ist).

Folsäure. Eine ausreichende Versorgung mit Folsäure ist schon bei normaler Ernährung schwierig. Grüne Gemüse, Hülsenfrüchte, Kartoffeln, Vollkornprodukte, Milch, Hefe, Innereien wie Leber und Niere, Ei und Soja enthalten zwar viel Folsäure, doch geht beim Kochen einiges davon verloren, denn Folsäure ist hitze- und lichtempfindlich.

Vitamin B12 kommt in Fleisch, Fisch, Eiern, Milch sowie in geringen Mengen in Sauerkraut, Hülsenfrüchten und Wurzelgemüsen vor. Aufgrund des niedrigen Bedarfs, einer hohen Speicherfähigkeit des Organismus und wahrscheinlich auch durch „Nebenquellen“ wie ungeschältes Obst ist eine zu geringe Zufuhr des Vitamins aber selten.

Vorsorge

Eisen. In Bezug auf die Eisenversorgung ist eine ausgewogene Ernährung mit Fleisch am besten. Ein Verzicht auf Fleisch muss aber nicht zu einem Eisenmangel führen, falls die Nahrung sorgfältig zusammengestellt wird. Schwangere hingegen müssen fast immer Eisentabletten einnehmen – da das Ungeborene vorgeht, kommt die Mutter praktisch immer zu kurz.

Folsäure. Ein Folsäuremangel steigert das Risiko einer Rückenmarkfehlbildung (Spina bifida) beim Ungeborenen. Frauen mit Kinderwunsch sollten möglichst schon vor der Empfängnis, spätestens aber vom Erkennen der Schwangerschaft bis zum Ende des dritten Monats Folsäuretabletten einnehmen, da diese das Fehlbildungsrisiko erwiesenermaßen senken.

Folsäure spielt auch eine Rolle bei der Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die zusätzliche Gabe von Folsäure senkt nämlich das Homozystein im Blut, einen unabhängigen Risikofaktor für die Entstehung von kardiovaskulären Erkrankungen.

| Von: Dr. med. Nicole Menche, dr. med. Arne Schäffler in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014). Überarbeitung und Aktualisierung: Dr. med. Sonja Kempinski

Blutungsneigung und Blutgerinnungsstörungen

Krankhafte Blutungsneigung (hämorrhagische Diathese): Im Vergleich zur vorliegenden Verletzung zu starke oder zu lang anhaltende Blutung oder eine Spontanblutung ohne erkennbaren Anlass. Milde Formen sind relativ häufig und werden oft erst durch routinemäßige Blutuntersuchungen erkannt, schwere Formen sind insgesamt selten. Behandlung und Aussichten sind von Ursache und Ausprägung der Störung abhängig.

Leitbeschwerden

  • Gehäuft blaue Flecke ohne Grund
  • Nach Verletzungen oder einer Zahnentfernung zu starke oder zu lang anhaltende Blutungen oder erneut auftretende Blutungen nach bereits erfolgtem Stillstand
  • Haut(ein)blutungen verschiedener Größe: stecknadelkopfgroße (Petechien), viele kleine wie ein Ausschlag(Purpura), ungefähr münzgroße (Sugillationen) oder flächenhafte (Suffusionen).

Wann zum Arzt

In den nächsten 2 Wochen, wenn im Vergleich zu früher mehr blaue Flecke oder Hautblutungen (ohne vorherige Verletzung) auftreten

Heute oder am nächsten Tag, wenn

  • Sich auf einmal stecknadelkopfgroße Flecke auf der Haut bilden
  • Plötzlich auffällig viele blaue Flecke oder kleine Blutungen bei der Behandlung mit gerinnungshemmenden Medikamente auftreten

Sondertext: Gerinnungshemmende Medikamente

Sofort bei jeder Blutung, die sich nicht stillen lässt.

Stillung lebensbedrohlicher Blutungen

Ab einem Verlust von 1 Liter Blut besteht beim Erwachsenen Schockgefahr. Deshalb muss bei der Stillung größerer Blutungen schnell vorgegangen werden. Fast jede Blutung ist durch genügend starken Druck von außen auf die Blutungsquelle zum Stillstand zu bringen, am besten durch einen Druckverband und durch Hochlagern des betroffenen Körperteils.

Bei lebensbedrohlichen Blutungen reicht ein Druckverband allerdings nicht aus. Das Blutgefäß muss gezielt mit der Hand zusammengedrückt werden. Hierzu wird gegebenenfalls in die Wunde hineingedrückt. Dazu verwendet man eine sterile Mullkompresse oder notfalls saubere Tücher.

Die Erkrankungen

Plättchenbedingte Blutungsneigungen

Überwiegend sind die Blutplättchen (Thrombozyten) für eine krankhafte Blutungsneigung verantwortlich (plättchenbedingte Blutungsneigung). Typisch sind hierbei viele stecknadelkopfgroße Blutungen der Haut und der Schleimhäute (z. B. der Mundschleimhaut.

Am häufigsten sind zu wenige Blutplättchen vorhanden (Thrombozytopenie). Meist ist ihre Verminderung Folge einer immunologischen Reaktion gegen Medikamente (z. B. Schmerzmittel, Entzündungshemmer, Antibiotika) oder einer Autoimmunreaktion gegen die Blutplättchen selbst, was zu ihrem erhöhten Abbau führt. Ist für die Verminderung der Blutplättchen keine Ursache feststellbar, spricht der Arzt von idiopathischer thrombozytopenischer Purpura (also ursächlich unklar) oder Morbus Werlhof. Seltener werden im Knochenmark zu wenige Blutplättchen gebildet, z. B. nach Zytostatikabehandlung oder bei Leukämie.

Die zweite Möglichkeit der plättchenbedingten Blutungsneigung ist eine Funktionsstörung der Blutplättchen (Thrombozytopathie), die ebenfalls meist durch Medikamente bedingt ist (häufig durch Acetylsalicylsäure, z. B. Aspirin®). Die Zahl der Blutplättchen ist dabei normal.

Gerinnungsstörungen

Fehlen ein oder mehrere Gerinnungsfaktoren, so spricht der Mediziner von einer Gerinnungsstörung oder Koagulopathie. Für Gerinnungsstörungen typisch sind gehäufte blaue Flecke bis hin zu ausgedehnten Muskel- und Weichteilblutungen.

Auch wenn genaue Zahlen fehlen, sind die erworbenen Formen wahrscheinlich häufiger als die angeborenen. Mehrere Gerinnungsfaktoren werden in der Leber gebildet, weshalb jede ausgeprägte Leberfunktionsstörung zu Gerinnungsstörungen führt. Da die Leber hierzu Vitamin K benötigt, zieht auch ein Vitamin-K-Mangel Gerinnungsstörungen nach sich, wobei bei Erwachsenen der „künstliche“ Vitamin-K-Mangel durch eine Behandlung mit Cumarinen (hemmen die Blutgerinnung) am häufigsten ist. Eine rasch einsetzende Gerinnungsstörung ist die Verbrauchskoagulopathie, bei der im Rahmen lebensbedrohlicher Erkrankungen die Gerinnung zunächst krankhaft gesteigert ist und dann durch den erhöhten Verbrauch zusammenbricht. Gerinnungsfaktoren stehen dann praktisch nicht mehr zur Verfügung.

Bei den angeborenen Gerinnungsstörungen kommt das [von-] Willebrand-Jürgens-Syndrom am häufigsten vor, bei dem nicht ein Gerinnungsfaktor selbst, sondern ein unterstützendes Eiweiß fehlt. Schwere Formen sind selten. Weniger häufig, aber bekannter ist die Bluterkrankheit oder Hämophilie, bei der aufgrund eines genetischen Defekts der Gerinnungsfaktor VIII oder IX nicht gebildet werden kann (Hämophilie A bzw. Hämophilie B). Aufgrund des x-chromosomalen Erbgangs erkranken fast nur Jungen, beschwerdefreie Frauen können aber Überträgerinnen (Konduktorinnen) sein. Schwere Formen angeborener Gerinnungsstörungen treten meist schon im Kindesalter zutage. Leichte Ausbildungen bleiben oft ohne Beschwerden im Alltag und werden erst bei Zahnentfernungen oder Blutgerinnungstests vor Operationen entdeckt.

Gefäßbedingte Blutungsneigungen

Des Weiteren kann die Ursache einer Blutungsneigung auch in „undichten“ Gefäßen liegen (gefäßbedingte Blutungsneigung). Sie zeigt sich meist durch Hautblutungen unterschiedlicher Größe. Ernsthafte Blutungen sind selten.

Zu dieser Gruppe zählt z. B. der angeborene Morbus Osler (Rendu-Osler-Weber-Krankheit), der zur Bildung winziger, mit dem bloßen Auge gerade noch erkennbarer, rötlicher Gefäßerweiterungen v. a. in Haut und Schleimhäuten, aber auch in Leber und Nieren führt. Diese Gefäßerweiterungen neigen zu Blutungen; nur leichtes Berühren, etwa beim Rasieren, genügt, um eine Blutung auszulösen. Schleimhaut- und Nasenblutungen sowie Blut in Urin oder Stuhl sind weitere Symptome.

Bei älteren Menschen tritt häufig die harmlose senile Purpura auf. Infolge der normalen Hautalterung werden die kleinsten Gefäße in der Haut brüchig und lassen Blut hindurch, sodass sich vor allem an Handrücken, Unterarmen und Unterschenkelstreckseiten kleine Hautunterblutungen bilden, die von selbst wieder vergehen, aber möglicherweise dunkler pigmentierte Stellen hinterlassen. Ähnlich sehen die gefäßbedingten Blutungen bei Langzeitbehandlung mit Kortisonen aus, bei denen die Haut ebenfalls dünner und verletzlicher wird.

Auch immunologische Reaktionen auf Medikamente sowie autoimmune Gefäßentzündungen, z. B. die klassische Panarteriitis nodosa, können zu gefäßbedingten Blutungen führen. Seltener sind infektiös-allergische Gefäßentzündungen nach dem Kindesalter (Purpura Schoenlein-Henoch).

Das macht der Arzt

Diagnosesicherung. Ein einfacher Test für Gerinnungsstörungen durch Gefäßschäden ist das Aufblasen einer Blutdruckmanschette am Arm etwas über den unteren Blutdruckwert: Zeigen sich nach fünf Minuten stecknadelkopfgroße Hautflecke, ist dies ein Zeichen für eine erhöhte Gefäßbrüchigkeit. Die Plättchenzählung aus dem Blutbild (wird bei jeder Blutbilduntersuchung durchgeführt) sowie die Gerinnungstests INR, PTT und PTZ sind in jedem Labor problemlos möglich und können meist zeigen, ob eine Gerinnungsstörung vorliegt. Insbesondere bei Funktionsstörungen der Blutplättchen oder einem Mangel einzelner Gerinnungsfaktoren sind aber Blutuntersuchungen in speziellen Gerinnungslabors nötig. Zudem können weitere Untersuchungen erforderlich sein, um die Ursache der Störung herauszufinden, etwa eine Knochenmarkuntersuchung bei Verdacht auf eine Blutplättchenbildungsstörung.

Therapie. Ist eine Ursache der Blutungsneigung feststellbar, wird diese beseitigt, also z. B. das auslösende Medikament abgesetzt oder die Autoimmunerkrankung behandelt. Bei Hämophilie wird der fehlende Gerinnungsfaktor regelmäßig in die Vene gespritzt. Nach entsprechender Schulung kann dies der Patient selbst ausführen. 2016 erhielten einige neue Medikamente die Zulassung: Albutrepenonacog alfa (Idelvion®), Nonacog gamma (Rixubis®) und Eftrenonacog alfa (Alprolix®) zur Behandlung von Hämophilie B, Efmoroctocog alfa (Elocta®) von Hämophilie A. Gemeinsam ist den neuen Präparaten eine längere Eliminationszeit als bei älteren Wirkstoffen. Daher ist im Vergleich zu älteren Präparaten eine seltenere Applikation erforderlich.

Milde Formen der idiopathischen thrombozytopenischen Purpura sind nur kontrollbedürftig, sie verschwinden meist von selbst.

Weitergehende Maßnahmen sind nur bei bedrohlichen Blutungen, vor geplanten Operationen oder bei sehr niedriger Blutplättchenzahl bzw. sehr niedrigen Spiegeln der Gerinnungsfaktoren erforderlich. Blutplättchen können heute durch Blutplättchenkonzentrate ersetzt werden, für die verschiedenen Gerinnungsfaktormangelzustände stehen sowohl Einzelfaktorpräparate als auch Präparate mit mehreren Gerinnungsfaktoren zur Verfügung. Viele davon werden mittlerweile gentechnisch hergestellt, sodass ein Infektionsrisiko (z. B. mit Hepatitis C) nicht mehr besteht.

Selbsthilfe

Die meisten Blutungsneigungen bestehen nur zeitweilig. Die Betroffenen sollten sich bis zur Besserung vor Verletzungen schützen und auf Warnzeichen einer bedrohlichen Blutung achten.

Auch die meisten Patienten mit einem Willebrand-Jürgens-Syndrom sind im Alltag nicht beeinträchtigt. Sie müssen nur vor Operationen auf ihre Erkrankung hinweisen, damit vorbeugend Medikamente gegeben werden.

Anders verhält es sich bei der Bluterkrankheit: Hier ist die Blutungsneigung meist so hoch, dass schon bei kleineren Verletzungen oder sogar vorbeugend Gerinnungsfaktoren gespritzt werden müssen und lebenslang Rücksicht auf die Erkrankung genommen werden muss (z. B. Meiden bestimmter Sportarten). Die meisten Betroffenen haben sich seit ihrer Kindheit einen angepassten Lebensstil angewöhnt und schon früh das Spritzen erlernt. Zu den empfohlenen Maßnahmen im Umgang mit der Krankheit zählt die sorgfältige Zahnpflege, um z. B. umfangreichere Zahnsanierungen zu verhindern. Ein spezielles Geschicklichkeitstraining hilft oft, Verletzungen vorzubeugen. Rat und Hilfe bezüglich der vielen praktischen Fragen erhalten Sie z. B. bei Selbsthilfegruppen.

Weiterführende Informationen

  • www.dhg.de – Deutsche Hämophilie-Gesellschaft, Hamburg und
  • www.igh.info – Interessengemeinschaft Hämophiler e. V., Bonn: Beides sind Selbsthilfeorganisationen, vor allem für Menschen mit Bluterkrankheit und (ausgeprägtem) Willebrand-Jürgens-Syndrom. Wenig medizinische Texte auf den Internetseiten, aber Bestellmöglichkeiten für Broschüren, Bluterausweis und Dokumentationskalender.

| Von: Dr. med. Nicole Menche, Dr. med. Arne Schäffler in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014). Überarbeitung und Aktualisierung: Dr. med. Sonja Kempinski

Hämochromatose

Hämochromatose (primäre Siderose, Hämosiderose, Eisenspeicherkrankheit): Erbliche Eisenstoffwechselstörung mit übermäßiger Eisenaufnahme aus dem Darm. Die Hämochromatose bewirkt eine massive Eisenüberladung und schädigt zahlreiche Organe wie Leber, Bauchspeicheldrüse, Herz, Gelenke und Hormondrüsen. Da so viele Organe betroffen sind, leiden die Patient*innen an vielen unterschiedlichen Beschwerden. Typisch ist eine Bronzefärbung der Haut. Hinzu kommen u. a. Gelenkschmerzen, Müdigkeit, Schwäche, Gewichtsverlust, Oberbauchbeschwerden, Durst, Herzschwäche, Potenz- und Menstruationsstörungen. Die Eiseneinlagerung beginnt schon direkt nach der Geburt, die ersten Symptome zeigen sich jedoch meist erst im Erwachsenenalter, bei Männern früher als bei Frauen. Behandelt wird durch eine eisenarme Diät, regelmäßige Aderlässe und manchmal auch mit Medikamenten. Die Hämochromatose ist nicht heilbar, deshalb muss die Behandlung lebenslang fortgesetzt werden. Je früher die Erkrankung erkannt wird, desto höher ist die Lebenserwartung der Betroffenen.

Symptome und Leitbeschwerden

  • Müdigkeit, Schwäche, Gewichtsverlust
  • Bronzefarbene Haut
  • Gelenkschmerzen
  • Hormonstörungen mit Impotenz bei Männern und Störungen der Regelblutung bei Frauen
  • Schmerzen im Oberbauch durch eine Lebervergrößerung
  • Durst und vermehrte Urinausscheidung durch Diabetes
  • Anfallsweises Herzrasen und Herzrhythmusstörungen.

Wann in die Arztpraxis

In den nächsten Tagen, wenn die Haut sich immer dunkler färbt und zusätzlich eine oder mehrere der oben beschriebenen Beschwerden auftreten.

Am selben Tag bei plötzlichem sehr starken Durst mit einer Trinkmenge von mehr als 4 Litern am Tag oder bei anhaltendem Herzstolpern oder Herzrasen ohne vorherige Belastung.

Die Erkrankung

Bei der erblichen Hämochromatose wird ständig zu viel Eisen aus dem Darm aufgenommen. Das Eisen lagert sich in zahlreichen Organen ab und schädigt v. a. die Bauchspeicheldrüse, die Leber, das Herz und die Hormondrüsen. Die Beschwerden beginnen bei Männern meist im mittleren Lebensalter. Bei Frauen tritt die Erkrankung später – meist erst nach den Wechseljahren – auf, denn davor wird der Eisenüberschuss durch die Regelblutung "natürlich" entsorgt. Selten kommt es schon vor dem 30. Lebensjahr zu Symptomen.

Krankheitsentstehung

Die Ursache der vermehrten Eisenaufnahme sind verschiedene erbliche Genmutationen. Bei der am häufigsten auftretenden Hämochromatose Typ 1 mutiert beispielsweise das HFE-Gen, welches für die korrekte Funktion des HFE-Proteins zuständig ist. HFE steht für "High-FE" – also "Hohes Eisen". Das HFE-Protein reguliert die Eisenaufnahme aus dem Darm. Ist es defekt, wird ungehemmt Eisen aus dem Darm in das Blut transportiert.

Es gibt noch 4 weitere Typen der Hämochromatose, die jeweils andere, für den Eisenstoffwechsel wichtige Gene betreffen. Die 5 Erkrankungstypen unterscheiden sich darin, in welche Organe am meisten Eisen eingelagert wird und wann die Erkrankung zu Tage tritt. Bei Typ 1 ist zuerst die Leber betroffen und das Erkrankungsalter liegt zwischen dem 30.–50. Lebensjahr. Typ 2a ist seltener und betrifft v. a. das Herz und junge Menschen zwischen dem 10.–20. Lebensjahr. Die 3 anderen Typen sind so selten, dass man sie als medizinische Raritäten bezeichnet.

Klinik

Die Hämochromatose beginnt zunächst schleichend mit allgemeinen Symptomen wie Müdigkeit, Schwäche und Gewichtsverlust. Relativ früh zeigen sich auch Gelenkschmerzen, die meist zuerst in den Fingergelenken des Zeige- und Mittelfingers auftreten. Später können auch die anderen Fingergelenke sowie Handgelenke, Schulter- und Ellbogengelenke, Hüft- und Kniegelenke betroffen sein.

In der Haut abgelagerte Eisenverbindungen färben diese nach und nach bronzefarben. Die Verfärbung kann dabei entweder diffus den gesamten Körper betreffen oder an einzelnen Körperbereichen besonders ausgeprägt sein, z. B. in den Achselhöhlen, im Gesicht, an den Händen und Unterarmen oder in der Genitalregion. Die betroffenen Regionen sind dann oft auch haarlos.

Bei Hämochromatose Typ 1 wird als erstes Organ v. a. die Leber geschädigt. Durch das eingelagerte Eisen entsteht eine Leberzirrhose – Gewebsvernarbungen, die sich neben Müdigkeit und Schwäche auch mit Schmerzen im Oberbauch bemerkbar machen.

Bei Typ 2a ist zuerst v. a. das Herz betroffen. Die geschädigten Herzmuskelzellen beeinträchtigen die Herzfunktion, was ebenfalls Müdigkeit und Schwäche verursacht. Ein Teil der Betroffenen wird durch Herzrhythmusstörungen und anfallsweises Herzrasen auffällig.

Bei beiden Typen ist auch die Hirnanhangsdrüse von der Eiseneinlagerung betroffen. Diese Drüse reguliert die Funktion der Geschlechtsdrüsen. Die Unterfunktion der Drüsen verursacht Hormonstörungen. Bei Männern schrumpfen die Hoden, bei Frauen wird die Regelblutung immer schwächer und bleibt irgendwann ganz aus. Hinzu kommen ein Verlust des Geschlechtstriebes (Libido) und bei Männern Potenzstörungen.

Im fortgeschrittenen Krankheitsverlauf entsteht bei Hämochromatose Typ 1 zusätzlich ein Diabetes. So wie in der Leber vernarbt auch das Gewebe der Bauchspeicheldrüse immer mehr. Sie kann deshalb nicht mehr ausreichend Insulin bilden. Der dadurch erhöhte Blutzuckerspiegel verursacht Durst und eine stark vermehrte Urinmenge. Wegen der ebenso auftretenden Hautverfärbung spricht man vom "Bronzediabetes".

Komplikationen

Im Erkrankungsverlauf kann sich aus der Leberzirrhose ein Leberkarzinom entwickeln. Es entsteht bei etwa 30 % der Hämochromatose-Patient*innen und ist die häufigste Todesursache bei dieser Erkrankung.

Auch die Herzmuskelschädigung (Kardiomyopathie) kann unbehandelt schnell zum Tod führen.

Diagnosesicherung

Das macht der Arzt

Da sich die Beschwerden nur schleichend entwickeln, gehen die Betroffenen oft erst spät in die Arztpraxis. Dennoch hat sich das Gesundheitsbewusstsein der Bevölkerung inzwischen so verbessert, dass die Diagnose heute oft rechtzeitig gestellt wird, also nicht erst, wenn die Organschädigungen schon recht weit fortgeschritten sind. Hatten früher Dreiviertel der Betroffenen bei der Diagnosestellung bereits eine Leberzirrhose, so werden Zirrhose und Diabetes heute viel seltener beobachtet. Gelenkschmerzen und chronische Müdigkeit sind heute der Hauptgrund für den Arztbesuch.

Die Diagnose einer Hämochromatose ist meistens durch verschiedene Blutuntersuchungen möglich. Im Blut werden zunächst verschiedene Eisenmarker bestimmt, z. B. das Ferritin (eine Speicherform des Eisens), das Transferrin (das Transportprotein für Eisen) und die Transferrinsättigung (der Anteil an mit Eisen beladenem Transportprotein). Sind diese Werte erhöht, schließen sich molekulargenetische Blutuntersuchungen an, bei denen die Genmutationen nachgewiesen werden. Eine Leberbiopsie ist dadurch nur noch selten nötig.

Differenzialdiagnose. Neben der erblichen Eisenspeicherkrankheit (primäre Siderose) gibt es auch andere Ursachen für eine übermäßige Eisenspeicherung im Körper, die sekundären Siderosen:

Bei bestimmten Formen der Blutarmut (Anämie) und bei Stammzellerkrankungen erhöht der Körper ebenfalls die Eisenaufnahme aus dem Darm. Zusätzlich führen dann auch die therapeutisch notwendigen Bluttransfusionen zu einer erhöhten Eisenzufuhr.

Auch bei fortgeschrittenen Lebererkrankungen, allen voran bei einer Leberschädigung durch Alkoholmissbrauch, kommt es zu einer Eiseneinlagerung in der Leber.

Erhöhte Blutwerte von Ferritin treten außer bei einer Eisenüberladung auch bei Entzündungen im Körper auf, deshalb beurteilen Ärzt*innen diese Blutwerte immer nur im Zusammenhang mit den Beschwerden der Betroffenen.

Neben der erblichen Hämochromatose gibt es noch 2 weitere Erbkrankheiten, die zu einer übermäßigen Eisenspeicherung führen: Die kongenitale Hypotransferrinämie verursacht ebenfalls schleichend Gelenkschmerzen, Leberzirrhose und Herzschwäche. Bei der ebenfalls angeborenen Aceruloplasminämie wird das Eisen v. a. im Gehirn gespeichert und verursacht daher v. a. neurologische Symptome, aber auch Diabetes.

Eine sehr seltene und nicht erbliche Sonderform der Eisenspeicherkrankheit ist die neonatale Hämochromatose. Hierbei treten bereits 2 Tage nach der Geburt die ersten Anzeichen einer Leberschädigung auf. Die betroffenen Säuglinge benötigen schon innerhalb der ersten 3 Lebensmonate eine Lebertransplantation.

Behandlung

Die Hauptsäulen der Behandlung sind regelmäßige Aderlässe zur Entfernung des überschüssigen Eisens sowie eine eisenarme Kost. Die Häufigkeit und entnommene Blutmenge beim Aderlass werden individuell an die Blutwerte und das Wohlbefinden der Patient*innen angepasst. Reichen Diät und Aderlässe nicht aus oder besteht gleichzeitig eine Blutarmut (die einen Aderlass verbietet), werden Medikamente verordnet. Diese Medikamente binden das Eisen im Körper und verhindern die Organablagerungen. Sie haben aber auch starke Nebenwirkungen, weshalb sie nicht regulär bei allen Patient*innen eingesetzt werden.

Zusätzlich werden gezielt die einzelnen Beschwerden und Folgeerkrankungen behandelt. Beispielsweise werden Schmerzmittel gegen die Gelenkschmerzen verordnet, der Diabetes mit Insulin behandelt und Hormone wie Testosteron und Gonadotropin gegen die sexuellen Störungen verabreicht. Eine bereits fortgeschrittene Leberzirrhose erfordert in absehbarer Zeit eine Lebertransplantation.

Prognose

Wird die Erkrankung behandelt, bevor sich eine Leberzirrhose oder Herzinsuffizienz (Herzschwäche) entwickelt hat, ist die Lebenserwartung normal, sofern die Behandlung konsequent fortgesetzt wird. Bei der Behandlung wird ein Zielwert für Ferritin angestrebt. Wird dieser erreicht, sind keine Organschäden zu befürchten.

Besteht bereits eine Leberzirrhose oder Herzschwäche, verschlechtert sich die Prognose. Die Leberzirrhose kann dann in ein Leberkarzinom übergehen, welches insgesamt die häufigste Todesursache bei Hämochromatose-Patient*innen ist.

Unbehandelt führt die Hämochromatose zum Tod. Häufigste Todesursachen sind dann Leber- oder Herzversagen.

Ihre Apotheke empfiehlt

Was Sie selbst tun können

Eisenarme Diät. Nahrungsmittel mit einem hohen Eisengehalt sind v. a. Fleisch und Innereien wie Leber und Nieren sowie Quinoa, Amaranth und Pflanzensamen wie Sesam und Kürbiskerne. Diese Nahrungsmittel sollten nicht exzessiv verzehrt werden. Eine spezielle, sehr strenge Diät muss aber nicht eingehalten werden. Wie weit die Ernährung wirklich hilft, die Eisenwerte zu senken, ist bislang umstritten. Im Zweifel ist eine individuelle Ernährungsberatung durch qualifizierte Diätassistent*innen empfehlenswert.

Schwarztee. Zusätzlich zur eisenarmen Diät sollten Betroffene Schwarzen Tee zu den Mahlzeiten trinken, weil dieser die Eisenaufnahme im Darm hemmt. Auch Kaffee und Milch können die Eisenaufnahme vermindern. Ebenso Rotwein, jedoch sollte auf Alkohol generell verzichtet werden, um die Leber zu entlasten.

Nahrungsergänzungsmittel. Nahrungsergänzungsmittel mit Vitamin C sollten nicht eingenommen werden, da Vitamin C die Eisenaufnahme aus dem Darm fördert. Bei allen Nahrungsergänzungsmitteln ist zudem darauf zu achten, dass kein Eisen enthalten ist.

Komplementärmedizin

Besteht bereits eine Leberschädigung, können standardisierte Extrakte aus Mariendistelfrüchten helfen. Diese haben leberschützende Eigenschaften, die sich bei Patient*innen mit Leberschäden positiv auswirken können.

Prävention

Da die Hämochromatose angeboren ist, gibt es keine Vorbeugung. Wird die Erkrankung diagnostiziert, kann aber eine gesunde Ernährung und Lebensweise helfen, die Organe nicht zusätzlich zu schädigen. Wichtig ist z. B. der Verzicht auf Alkohol. Auch ein hoher Zuckerkonsum belastet sowohl die Leber als auch die Bauchspeicheldrüse und sollte daher möglichst vermieden werden.

Weiterführende Informationen

Internetseite der Hämochromatose-Vereinigung Deutschland e. V., Köln: Selbsthilfegruppe mit medizinischen Informationen und über 20 Kontaktstellen in ganz Deutschland.

| Von: Dr. med. Nicole Menche, Dr. med. Arne Schäffler in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014). Überarbeitung und Aktualisierung: Daniela Grimm

Leukämien

Leukämie (Blutkrebs, „weißes Blut“): Bösartige Bluterkrankung mit unkontrollierter Vermehrung abnormer weißer Blutkörperchen. Dadurch kommt es zu einem Mangel an gesunden roten und weißen Blutkörperchen und Blutplättchen mit uncharakteristischen Allgemeinbeschwerden, Infekt- und Blutungsneigung. Leukämien können in jedem Lebensalter auftreten und betreffen Männer etwa gleich häufig wie Frauen. Behandlung und Aussichten hängen von der Leukämieform ab, wobei die Aussichten für Kinder (rund 80 % Langzeitüberlebende) besser sind als für Erwachsene.

Leitbeschwerden

  • Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Fieberschübe, Nachtschweiß
  • Verminderte körperliche Belastbarkeit mit schnellem Puls und Atemnot, Blässe, Kollapsneigung (durch Mangel an roten Blutkörperchen)
  • Gehäuft blaue Flecke, Hautblutungen, z. B. kleine stecknadelkopfgroße rote Hautflecke an den Beinen nach längerem Stehen oder mäßiger körperlicher Aktivität, Schleimhautblutungen im Mund, z. B. bis dahin nicht gekanntes, häufiges Zahnfleischbluten
  • Infektneigung
  • Möglicherweise Druckgefühl im linken Oberbauch und Knochenschmerzen
  • Bei akuten Leukämien rasche Entwicklung der Beschwerden oft innerhalb weniger Wochen, bei chronischen Leukämien schleichender Beginn

Je nach Leukämieform möglicherweise:

  • Geschwollene Lymphknoten, vor allem bei lymphatischen Leukämien
  • Hautjucken, vor allem bei chronischer lymphatischer Leukämie

Wann zum Arzt

In den nächsten Tagen, wenn über einen längeren Zeitraum einzelne der oben genannten Beschwerden auftreten

Die Erkrankung

Wie alle teilungsfähigen Zellen im Körper können auch die Blutstammzellen im Knochenmark entarten. Die Frage nach dem „Warum“ bleibt dabei in aller Regel unbeantwortet. Mittlerweile ist zwar bekannt, dass bestimmte Viren, Chemikalien, Strahlen und auch genetische Faktoren (z. B. deutliche Risikoerhöhung beim Down-Syndrom) mit eine Rolle spielen, jedoch liegt beim Großteil der Betroffenen keiner der bekannten Risikofaktoren vor. Dass Leukämien zwar nicht direkt erblich, aber doch von Mutter zu Kind übertragbar sind, konnte kürzlich belegt werden. Mittels Gentest lässt sich nachweisen, dass Krebszellen des Kindes die gleiche Genmutation aufweisen wie die der Mutter. Zur Übertragung im Mutterleib kann es kommen, weil die Krebszellen das Immunsystem des Babys umgehen. Ihnen fehlen bestimmte DNA-Abschnitte, an denen das Immunsystem Eindringlinge sonst erkennt.

Die entarteten, bösartigen Zellen nehmen an Zahl zu und werden schließlich ins Blut ausgeschwemmt. Ihre Vermehrung geht auf Kosten der gesunden Blutkörperchen im Knochenmark, sodass diese verdrängt werden. Da aber die bösartigen Zellen gleichzeitig ihre „normalen“ Aufgaben nicht mehr erfüllen – sie verlieren ihre Fähigkeiten, im Rahmen der Immunabwehr aktiv zu werden – fehlen schließlich funktionsfähige rote und weiße Blutkörperchen sowie Blutplättchen. Die bösartigen Zellen breiten sich ungehindert im Körper weiter aus und befallen z. B. Leber, Milz, Gehirn und Haut.

Einteilung der Leukämien

Die Einteilung von Leukämien (und Lymphomen) ist hoch kompliziert und derzeit im Umbruch. Am gebräuchlichsten ist nach wie vor die historisch gewachsene Einteilung:

  • Nach dem Verlauf wird zwischen den rasch verlaufenden akuten Leukämien und den schleichend beginnenden chronischen Leukämien unterschieden.
  • Ganz frühe Blutstammzellen können sich in Richtung aller Blutkörperchen weiterentwickeln. Der Stammbaum gabelt sich jedoch schon bald in eine Reihe für die Lymphozyten und eine für die Granulozyten und Monozyten. Je nachdem, zu welcher Reihe die bösartigen weißen Zellen gehören, werden lymphatische Leukämien und myeloische Leukämien differenziert. Ganz selten kommen undifferenzierte Leukämien vor, bei denen eine Einordnung der Zellen trotz modernster Methoden nicht gelingt.

Somit ergeben sich vier verschiedene Leukämieformen: akute lymphatische Leukämie (ALL), akute myeloische Leukämie (AML), chronische lymphatische Leukämie (CLL) und chronische myeloische Leukämie (CML). 80 % der akuten Leukämien bei Erwachsenen sind myeloische, 20 % lymphatische.

Myeloproliferative Erkrankungen. Mit den Leukämien verwandt sind die myeloproliferativen Erkrankungen, bei denen alle Blutzellarten im Knochenmark außer den Lymphozyten wuchern, jeweils eine davon aber ganz besonders. Zu den myeloproliferativen Erkrankungen zählen:

  • Polyzythämie
  • Essenzielle Thrombozythämie mit Wuchern der Blutplättchen und hoher Thrombosegefahr, aber guter Behandelbarkeit
  • Osteomyelofibrose mit bindegewebigem Knochenmarkumbau, der aber die Folge von Botenstoffen wuchernder Blutplättchenvorläufer ist.

Die Erkrankungen verlaufen auch ohne Behandlung relativ langsam über Jahre und können ineinander übergehen.

Myelodysplasien. Myelodysplasien sind Erkrankungen der Blutstammzellen mit Wachstums- und Reifungsstörungen der Blutzellen. Das Knochenmark enthält viele (abnorme) Blutzellvorstufen, da diese sich jedoch nicht mehr zu funktionsfähigen Blutzellen weiterentwickeln können, finden sich im Blut meist zu wenige rote und weiße Blutkörperchen sowie Blutplättchen. Die Myelodysplasien treten vor allem jenseits des 50. Lebensjahrs auf. Leitbeschwerden sind Blutarmut, Infektionsneigung und Blutungen. Myelodysplasien nehmen meist einen langsamen Verlauf, können aber in eine akute (myeloische) Leukämie übergehen.

Das macht der Arzt

Diagnosesicherung. Eine Verdachtsdiagnose ist meist schon aufgrund des Blutbilds möglich, das bei den akuten Leukämien Vorstufen der weißen Blutkörperchen (Blasten) und bei den chronischen Leukämien viel zu viele weiße Blutkörperchen enthält. Eine Knochenmarkuntersuchung ist trotzdem immer erforderlich, um die Leukämie exakt klassifizieren und die Behandlung planen zu können. Außerdem wird durch Ultraschalluntersuchungen, CT, Kernspin und bei der akuten lymphatischen Leukämie auch durch eine Liquoruntersuchung geklärt, welche Organe außer dem Knochenmark befallen sind. Weitere Untersuchungen können je nach geplanter Behandlung erforderlich sein, da bei einigen Behandlungsformen bestimmte Vorerkrankungen ausgeschlossen oder zumindest behandelt sein müssen.

Therapie der akuten Leukämie (AML und ALL). Ziel bei Patienten unter etwa 60 Jahren ist fast immer die Heilung – entsprechend aggressiv muss die Behandlung sein. Wegen der hierdurch und durch die Grunderkrankung bedingten Risiken darf die Behandlung nur an speziellen Zentren erfolgen, die den Patienten z. B. sicher durch ein „Zelltief“ (Aplasie) mit äußerster Infektionsgefahr bringen können.

In der ersten Behandlungsphase (Induktionsbehandlung) wird versucht, den Patienten durch eine aggressive Chemotherapie in eine Vollremission zu bringen. Danach schließt die Konsolidierungsbehandlung an, in der versucht wird, die eingetretene Besserung zu stabilisieren. Sodann folgt klassischerweise eine weniger belastende Erhaltungstherapie (die Chemotherapie wird in niedriger Dosierung fortgesetzt). Welche Patienten von einer Blutstammzelltransplantation profitieren (und, falls ja, von einem anderen Spender oder sich selbst) oder ob gerade bei einem Rückfall Antikörperbehandlungen eine Verbesserung bringen, ist Gegenstand von Forschungen und ständig im Fluss.

Sondertext: Knochenmark- und periphere Blutstammzelltransplantation

Bei akuter lymphatischer Leukämie werden außerdem Zytostatika durch eine Lumbalpunktion in den Liquorraum gegeben, und das Gehirn wird bestrahlt, da sonst von den Hirnhäuten nicht selten ein Rückfall ausgeht.

Bei Patienten über 60 Jahren hängt es sowohl von der Leukämieform und ihrer Ausbreitung als auch vom Gesamtzustand des Patienten ab, ob eine aggressive Behandlung sinnvoll oder ein Bremsen des Zellwucherns durch mildere Zytostatika besser ist.

Therapie der chronischen myeloischen Leukämie (CML). Unbehandelt zeigt die chronische myeloische Leukämie zwar einen Verlauf über mehrere Jahre, geht dann aber immer in eine kaum behandelbare Blastenkrise über, die einer akuten Leukämie ähnelt (massenhaft unreife weiße Blutkörperchen werden produziert, die keine Funktion erfüllen können).

Derzeit wird Patienten unter etwa 55 Jahren nach einer Verminderung der Zellen mit Hydroxyharnstoff (z. B. Litalir®) zumeist eine frühe Knochen- bzw. Blutstammzelltransplantation angeraten, die nach wie vor die einzige Chance auf Heilung, aber mit einer erheblichen Rate teils tödlicher Komplikationen verbunden ist. Bei älteren Patienten ist der Tyrosinkinasehemmer (TKI) Imatinib (Glivec®) mittlerweile die erste Wahl. Er ist so wirksam, dass die Frage wieder offen ist, welche Patienten eine Knochenmarktransplantation überhaupt noch brauchen. Schlägt die Behandlung nicht (mehr) an, bieten sich als Alternative die Tyrosinkinasehemmer Dasatinib (Sprycel®) und Nilotinib (Tasigna) an.

Risiken. Leider drohen Tyrosinkinasehemmer, eine vorbestehende Hepatitis-B-Virus-Infektion zu reaktiven. Notwendig ist deshalb ein Hepatitis-B-Screening vor Behandlungsbeginn und bei vorliegender Infektion bei unerlässlicher Therapie mit TKIs eine engmaschige Überwachung während und nach der Behandlung.

Therapie der chronischen lymphatischen Leukämie (CLL). Die chronische lymphatische Leukämie betrifft vor allem ältere Menschen über 60 Jahre. Sie verläuft ganz langsam und schränkt die Erkrankten oft viele Jahre kaum ein. Deshalb wird sie nur bei zunehmenden Beschwerden mit einer schonenden Chemotherapie oder einer Antikörperbehandlung (mit Alemtuzumab, Mabcampath®) behandelt. Ibrutinib (Imbruvica®) eignet sich als Folgebehandlung für Erwachsene, bei denen die CLL bereits erfolglos behandelt wurde, sowie als Erstbehandlung für Erwachsene, deren Leukämiezellen als genetische Merkmale eine 17p-Deletion oder eine TP53-Mutation aufweisen.

Sondertext: Kleines Lexikon der Leukämietherapie

Prognose

Durch die neuen Therapieformen wie z. B. die Blutstammzelltransplantation haben sich die Prognosen spürbar verbessert. So war bis vor kurzem für über 60-Jährige eine AML unheilbar und tödlich. Durch die Möglichkeit einer Blutstammzelltransplantation mit reduzierter Konditionierung ändert sich dies möglicherweise, die Therapieform ist aber so neu, dass es noch keine Zahlen über das Langzeitüberleben gibt. Ansonsten hängt die Prognose stark vom Subtyp ab und ist bei der AML generell schlechter als bei der ALL.

Hilfe durch Angehörige

Sowohl die Erkrankung als auch die Behandlung vermindern die Zahl der gesunden weißen Blutkörperchen. Häufiger als andere Krebskranke müssen Patienten mit einer Leukämie zum Schutz vor Infektionen für eine gewisse Zeit in einem keimarmen Zimmer untergebracht werden. Die Betroffenen dürfen das Zimmer nicht verlassen und nur wenige Besucher empfangen. Leidet der Kranke sehr unter der Isolierung, kann man als Angehöriger ruhig Verwandte und Bekannte zu Anrufen oder Briefen motivieren und diese auch zeitlich etwas verteilen.

Bei vielen Patienten stellt sich die Frage nach einer Knochenmarktransplantation. Sowohl die Entscheidungsfindung als auch das Warten auf eine geeignete Spende erhöhen die psychische Belastung des Kranken. Hier sind die Angehörigen stark als Gesprächspartner und als „Spiegel der Gedanken“ gefordert.

Weiterführende Informationen

  • www.bergundtal-ev.de – Internetseite des Berg und Tal e. V., Essen: Von der Klinik und Poliklinik für Knochenmarktransplantation des Universitätsklinikums Essen unterstützte Selbsthilfegruppe.
  • www.leukaemie-hilfe.de – Internetseite der Deutschen Leukämie- und Lymphom-Hilfe e. V. (DLH, Bonn): Selbsthilfeorganisation für Erwachsene mit Leukämien und Lymphomen, mit umfangreichem Literaturverzeichnis und Adressen regionaler Gruppen.
  • H. Delbrück: Knochenmark- und Stammzelltransplantation nach Krebs. Kohlhammer, 2005. Für Laien verständliches Buch, das auch die Zeit nach der Transplantation behandelt.

| Von: Dr. med. Nicole Menche, Dr. med. Arne Schäffler in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014). Überarbeitung und Aktualisierung: Dr. med. Sonja Kempinski

Lymphome, maligne

[Maligne] Lymphome (bösartige Lymphome, oft nicht ganz korrekt auch Lymphknotenkrebs genannt): Sammelbezeichnung für verschiedene bösartige Erkrankungen der Lymphozyten, die oft in den Lymphknoten beginnen. Die malignen Lymphome werden unterteilt in Hodgkin- und Non-Hodgkin-Lymphome. Hodgkin-Lymphome (so genannt nach ihrem Erstbeschreiber Thomas Hodgkin) betreffen eher Jugendliche und junge Erwachsene, Non-Hodgkin-Lymphome treten bevorzugt im mittleren und höheren Lebensalter auf. Behandlung und Aussichten sind von der genauen Art des Lymphoms abhängig und sehr unterschiedlich.

Leitbeschwerden

  • Schmerzlose Lymphknotenvergrößerung (tastbare „Knoten“) am Hals, in der Achsel oder der Leiste
  • Möglicherweise uncharakteristische Allgemeinbeschwerden wie etwa Müdigkeit oder verminderte Leistungsfähigkeit. Besonders charakteristisch sind dabei die sogenannten B-Symptome: Gewichtsverlust von über 10 % im letzten halben Jahr, Nachtschweiß und unklares Fieber über 38 ºC 
  • Möglicherweise Hautjucken
  • Selten, aber ebenfalls charakteristisch: Schmerzen in den vergrößerten Lymphknoten nach Alkoholgenuss (Alkoholschmerz)

Wann zum Arzt

In der nächsten Woche, wenn eine Lymphknotenschwellung länger als drei Wochen besteht. Die kritische Größe ist ~ 1,5 cm, da Lymphknoten nach Entzündungen nicht selten auf Dauer etwas größer sind als vorher.

Die Erkrankung

Die Bezeichnung maligne Lymphome umfasst Krebse durch entartete Zellen des lymphatischen Immunsystems. Die durch Metastasen Tochtergeschwülste verursachten, ebenfalls bösartigen Lymphknotenvergrößerungen zählen nicht dazu.

Die Ursache maligner Lymphome ist, von Ausnahmen abgesehen, bis heute unklar und mit Sicherheit bei den verschiedenen Untergruppen nicht einheitlich. Bei einigen Formen spielen Viren eine Rolle, vor allem das Epstein-Barr-Virus, bei anderen wird der sich im Lauf des Lebens summierenden Schadstoffbelastung ein Einfluss zugeschrieben, die sich in den als „Sondermüllsammelstellen“ arbeitenden Lymphknoten anreichert.

  • Hodgkin-Lymphome gehen von entarteten (B-)Lymphozyten der Lymphknoten aus. Sie heißen nach ihren Erstbeschreibern Hodgkin- und Reed-Sternberg-Zellen. Hodgkin-Lymphome sind sehr gut behandelbar – lange Zeit war sogar unklar, ob die Erkrankung überhaupt bösartig ist.
  • Alle anderen bösartigen Lymphome heißen Non-Hodgkin-Lymphome. Ihre Einteilung ist durch die neuen zyto- und molekulargenetischen Untersuchungen noch komplizierter geworden, denn zu den Non-Hodgkin-Lymphomen gehören nun auch die lymphatischen Leukämien. Und durch die Tatsache, dass derzeit mehrere Einteilungen nebeneinander in Gebrauch sind, wird das Ganze noch unübersichtlicher. Non-Hodgkin-Lymphome können von B- oder T-Lymphozyten ausgehen. Die indolenten Non-Hodgkin-Lymphome zeigen einen langsamen Verlauf , z. B. chronische lymphatische Leukämie, die sehr aggressiven Non-Hodgkin-Lymphome verlaufen ohne Behandlung rasch tödlich z. B. bestimmte akute Leukämien. Die aggressiven Non-Hodgkin-Lymphome z. B. Plasmozytom liegen irgendwo dazwischen. Als Faustregel kann aber gelten, dass sich Non-Hodgkin-Lymphome viel schneller als Hodgkin-Lymphome im Körper ausbreiten, v. a. ins Knochenmark, wo sie zu einer Störung der Blutbildung führen.

Plasmozytom. Ein verhältnismäßig häufiges Non-Hodgkin-Lymphom ist das Plasmozytom, das vor allem bei älteren Menschen über 60 Jahren auftritt. Die entarteten Plasmazellen (ausgereifte Form der B-Lymphozyten) produzieren ein einziges Immunglobulin, oder Bruchstücke davon, das auch als Paraprotein bezeichnet wird. Das Plasmozytom bereitet erst spät Beschwerden, vor allem Knochenschmerzen und Knochenbrüche, da Knochensubstanz an vielen Stellen aufgelöst wird (wie ausgestanzt).

Das macht der Arzt

Zur Diagnosesicherung wird ein Lymphknoten entfernt und unter dem Mikroskop untersucht. Dies ist für den Patienten kaum belastend, da in aller Regel ein Lymphknoten direkt unter der Haut herausgenommen werden kann. Ergibt die feingewebliche Untersuchung des Lymphknotens ein Lymphom, folgt die Ausbreitungsdiagnostik, ohne die keine Behandlungsplanung möglich ist. Neben verschiedenen Ultraschalluntersuchungen, CT und Kernspin umfasst sie fast immer eine Knochenmarkuntersuchung.

Therapie von Hodkin-Lyphomen. Durch eine Chemotherapie mit nachfolgender Strahlenbehandlung werden bei den Hodgkin-Lymphomen Langzeitüberlebensraten von 70–95 % erreicht. Mediziner bemühen sich derzeit, die Behandlung noch individueller zu gestalten, z. B. Patienten mit besonders guten Aussichten herauszufinden, um ihnen eventuell die Bestrahlung zu ersparen, oder umgekehrt die wenigen Patienten möglichst früh herauszufiltern, die bislang nicht geheilt werden können, da sie möglicherweise von anderen Behandlungen profitieren.

Therapie von Non-Hodgkin-Lymphomen. Bei Non-Hodgkin-Lymphomen gibt es kein einheitliches Vorgehen. Generell werden indolente Lymphome eher spät, aggressive Non-Hodgkin-Lymphome hingegen ähnlich wie akute Leukämien behandelt. Die Aussichten für den Patienten sind von Tumor zu Tumor sehr unterschiedlich, aber insgesamt schlechter als bei Hodgkin-Lymphomen.

Weiterführende Informationen

  • www.leukaemie-hilfe.de – Internetseite der Deutschen Leukämie- und Lymphom-Hilfe e. V. (DLH, Bonn): Selbsthilfeorganisation für Erwachsene mit Leukämien und Lymphomen.
  • www.lymphome.de – Kompetenznetz Maligne Lymphome, Köln: Internetseite mit Informationen zu den Erkrankungen und Behandlungsstudien.

| Von: Dr. med. Nicole Menche, Dr. med. Arne Schäffler in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014). Überarbeitung und Aktualisierung: Dr. med. Sonja Kempinski

Polyglobulie und Polyzythämie

Polyglobulie (Erythrozytose): Überschießende Bildung roter Blutkörperchen. Eine Polyglobulie kann als primäre, eigenständige Erkrankung auftreten, dann spricht man von Polyzythämie oder genauer Polycythaemia vera. Häufiger tritt eine Polyglobulie als Folge einer anderen Krankheit auf. Dies nennt man sekundäre Polyglobulie. Beide Erkrankungsformen verursachen eine Eindickung des Blutes, die zu Durchblutungsstörungen führt. Die Betroffenen leiden dadurch z. B. an Kopfschmerzen, Schwindel und Ohrensausen. Auch Juckreiz kann auftreten. Behandelt wird die Polyglobulie durch regelmäßigen Aderlass, bei dem Blut entnommen und durch Flüssigkeit ersetzt wird. Bei der Polyzythämie werden zusätzlich Medikamente verordnet, die die Bildung neuer Blutkörperchen unterdrücken. Bei der sekundären Polyglobulie steht die Behandlung der auslösenden Krankheit im Vordergrund. Die Prognose variiert je nach der auslösenden Ursache. Ohne Behandlung drohen Gefäßverschlüsse bis hin zum Schlaganfall oder Herzinfarkt.

Symptome und Leitbeschwerden

  • Gerötetes Gesicht, blaurote Lippen
  • Ohrensausen oder Ohrgeräusche
  • Kopfschmerzen, Schwindel
  • Juckreiz, v. a. nach Wasserkontakt und durch Reibung
  • Empfindungsstörungen in der Haut wie Kribbeln oder Ameisenlaufen
  • Plötzlich auftretende Schmerzen, Rötung und Schwellung der Finger oder der Zehen
  • Krampfartige Schmerzen in den Beinmuskeln beim Laufen.

Wann in die Arztpraxis

In den nächsten Tagen, wenn die oben genannten Symptome regelmäßig oder dauerhaft auftreten.

Sofort den Notruf wählen bei plötzlicher Luftnot, Schmerzen im Brustkorb, Lähmungen, Sprach- oder Sehstörungen.

Die Erkrankung

Krankheitsentstehung

Rote Blutkörperchen (Erythrozyten) werden im Knochenmark gebildet und von dort in den Blutkreislauf freigesetzt. Im Blut zirkulieren sie unermüdlich durch den Körper und transportieren dabei den Sauerstoff aus der Lunge in die Organe und Gewebe. Die Lebensdauer eines roten Blutkörperchens beträgt etwa 120 Tage. Dann wird es von der Milz aus dem Blut herausgefiltert und abgebaut. Die Nieren überwachen den Sauerstoffgehalt des Blutes. Sinkt dieser zu stark ab, schütten sie ein Hormon aus, das Erythropoetin (EPO). Dieses Hormon gibt dem Knochenmark das Signal, mehr rote Blutkörperchen zu bilden. Auf diese Weise werden bei Gesunden die Bildung und der Abbau der Erythrozyten in Balance gehalten.

Eine überschießende Bildung roter Blutkörperchen kann 3 verschiedene Auslöser haben. Entweder es ist zu wenig Sauerstoff oder zu viel EPO im Körper oder das Knochenmark bildet von sich aus zu viel.

Ursachen und Risikofaktoren

Zu wenig Sauerstoff. Die häufigste Ursache für ein Zuviel an roten Blutkörperchen ist das Rauchen, gefolgt von chronischen Lungen- und Herzerkrankungen, die einen Sauerstoffmangel (Hypoxie) auslösen.

Auch bei Bergsteigern oder Urlaubern im Hochgebirge kommt es zu einem Sauerstoffmangel im Gewebe, weil in den Höhenlagen weniger Sauerstoff in der Luft ist. Auch diese Personen bilden dann mehr rote Blutkörperchen, um den Sauerstoffmangel auszugleichen. Man spricht in dem Fall von einer physiologischen Höhenpolyglobulie, denn es handelt sich dabei nicht um eine Krankheit, sondern um einen normalen Kompensationsmechanismus des Körpers.

Zu viel Erythropoetin. Die Nieren sind der Hauptbildungsort für EPO. Wenn zu viel EPO im Körper ist, liegt das meist daran, dass ein Nierentumor oder seltener eine andere Nierenerkrankung die Bildung des Hormons ankurbelt. Auch die Leber, das Gehirn, die Milz, die Gebärmutter und die Hoden bilden EPO, deshalb können auch Tumoren in diesen Organen einen EPO-Überschuss hervorrufen. Die Hormonbildung kann aber auch "von außen" angeregt werden, z. B. durch Anabolika oder eine Behandlung mit männlichen Hormonen (Androgene). Nicht zuletzt spritzen sich manche Sportler*innen EPO als Dopingmittel.

Neben Erythropoetin stimuliert auch das Hormon Cortisol die Bildung roter Blutkörperchen. Deshalb kann auch ein Zuviel an Cortisol, z. B. beim Cushing-Syndrom, eine Polyglobulie verursachen. Diese Patient*innen haben aber zahlreiche andere, z. T. schwerwiegende Beschwerden und die Polyglobulie steht im Hintergrund.

Überaktives Knochenmark. Bildet das Knochenmark von sich aus zu viele Erythrozyten – also ohne durch ein Hormon-Signal dazu aufgefordert zu werden – nennt man das primäre Polyglobulie. Meist liegt dann eine myeloproliferative Erkrankung vor, also ein Zustand, bei dem sich die Stammzellen im Knochenmark ungebremst vermehren. Hierzu zählt die Polyzythämia vera. Diese Erkrankung tritt im Vergleich zu den sekundären Polyglobulien eher selten auf und betrifft v. a. Ältere.

Daneben gibt es noch weitere Ursachen für eine Polyglobulie, zum Beispiel erbliche Genmutationen wie die primäre familiäre Polyzythämie, Erkrankungen des roten Blutfarbstoffs wie die Methämoglobinämie, verschiedene Vergiftungen (z. B. mit Arsen, Blei oder Kupfer) und das Pickwick-Syndrom. Diese sind aber sehr selten.

Klinik

Ein auffallendes Anzeichen für eine Polyglobulie ist die Gesichtsröte. Auf den ersten Blick scheinen die Betroffenen daher eine besonders "gesunde" Gesichtsfarbe zu haben. Oft zeigen sie aber auch blau-rot gefärbte Lippen, die das Zuviel des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin sichtbar machen.

Beschwerden machen vor allem die Durchblutungsstörungen, die durch die zu vielen Blutkörperchen in den Blutgefäßen auftreten. Sie zeigen sich zunächst in allgemeinen Symptomen wie Kopfschmerzen, Schwindel, Ohrensausen oder Ohrgeräuschen. Auch Empfindungsstörungen wie Hautkribbeln oder Ameisenlaufen können hinzukommen. Manchmal schwellen anfallsweise die Finger oder Zehen schmerzhaft an. Sie sind dann auch rot verfärbt. Ein charakteristisches Symptom ist unerklärlicher Juckreiz, der v. a. nach Wasserkontakt, bei Wärme und durch Reibung ausgelöst wird, also zum Beispiel, wenn sich die Betroffenen nach einem warmen Bad mit dem Handtuch abrubbeln.

Alle diese Symptome entstehen schleichend und treten dann immer öfter oder dauerhaft auf.

Verlauf

Im Erkrankungsverlauf nehmen die Durchblutungsstörungen zu.

Das Blut kann so weit eindicken, dass Beinvenen verstopfen. Die Beine sind dann schwer und geschwollen und beim Laufen zwingen zunehmende Schmerzen zum Stehenbleiben. Man nennt das Schaufensterkrankheit, weil die Betroffenen regelmäßig alle paar Schritte – also quasi an jedem Schaufenster – stehen bleiben müssen.

Da das Herz gegen den Widerstand der vielen Blutzellen anpumpen muss, schlägt es schneller und kräftiger. Auch der Blutdruck kann steigen.

Treten die Durchblutungsstörungen im Gehirn auf, zeigt sich das z. B. durch Konzentrationsstörungen oder Sehstörungen.

Bei der Polyzythämia vera kommt es im Krankheitsverlauf zusätzlich zu Oberbauchschmerzen durch eine Milzvergrößerung (Splenomegalie) sowie zu Müdigkeit, Gewichtsverlust und Blutungen.

Komplikationen

Im schlimmsten Fall schreiten die Durchblutungsstörungen so weit voran, dass ein Schlaganfall, Herzinfarkt oder eine Lungenembolie ausgelöst wird. Diese Komplikationen sind lebensbedrohlich und müssen sofort als Notfall behandelt werden.

Diagnosesicherung

Die Ärzt*in fragt zunächst ausführlich nach den Beschwerden und führt dann eine körperliche Untersuchung durch, bei der auch der Blutdruck gemessen, das Herz abgehört und der Bauch abgetastet wird. Dann wird eine Blutuntersuchung eingeleitet, die schnell die Erhöhung der Erythrozytenzahl und des roten Blutfarbstoffs anzeigt. Je nach Erkrankungsauslöser kann auch ein Zuviel oder Zuwenig des Hormons Erythropoetin im Blut nachgewiesen werden.

Um den Auslöser der Polyglobulie zu finden, werden dann weitere Untersuchungen eingeleitet, z. B. ein Ultraschall des Bauches, ein Röntgen des Brustkorbs und eine Lungenfunktionsprüfung.

Die Diagnosesicherung der Polyzythämie erfordert eine Knochenmarkuntersuchung. Im Zweifel kann die Polyzythämia vera bei fast allen Betroffenen durch eine molekulargenetische Blutuntersuchung nachgewiesen werden. Hierbei wird eine JAK2-Mutation aufgedeckt, also eine genetische Störung, die für die unkontrollierte Vermehrung der Knochenmarks-Stammzellen verantwortlich ist.

Differenzialdiagnose. Manche Symptome wie Kopfschmerzen, Schwindel und Ohrensausen sind sehr allgemein und können bei unzähligen anderen Erkrankungen auftreten. Andere Symptome der Polyglobulie sind sehr typisch für die Erkrankung, z. B. die Hautfarbe und der charakteristische Juckreiz. Auch das Blut lässt wenig Zweifel an der Polyglobulie. Lediglich eine sogenannte "Pseudoglobulie" bei einem starken Flüssigkeitsverlust kann ebenfalls zu einem scheinbaren Zuviel an Erythrozyten und rotem Blutfarbstoff führen. Dann treten die Symptome aber sehr plötzlich auf und die Hauptsymptome des starken Flüssigkeitsverlust, z. B. durch schweren Durchfall, Schock oder Verbrennung, stehen im Vordergrund. Das Hauptaugenmerk bei der Diagnostik einer Polyglobulie liegt also darin, die auslösende Ursache festzustellen, die wie oben beschrieben von harmlosen Höhenaufenthalten über Lungen- und Herzerkrankungen bis hin zu Tumor- und Knochenmarkserkrankungen reichen können.

Behandlung

Gefährlich werden alle Polyglobulien durch die Durchblutungsstörungen, die im schlimmsten Fall zum lebensbedrohlichen Schlaganfall, Herzinfarkt oder einer Lungenembolie führen können. Als "Erstmaßnahme" wird den Patient*innen deshalb zur Blutverdünnung durch einen Aderlass Blut entnommen und durch Flüssigkeit ersetzt.

Bei sekundären Polyglobulien richtet sich die weitere Behandlung dann nach der auslösenden Ursache. Bei Sauerstoffmangel wird die Therapie gegebenenfalls durch die Gabe von Sauerstoff unterstützt.

Bei der Polyzythämie können regelmäßige Aderlässe und eine medikamentöse Behandlung mit Interferon und/oder Hydroxyharnstoff die Anzahl der Zellen meist über Jahre gut senken. Diese beiden Medikamente hemmen die übermäßige Bildung und Reifung der Blutzellen im Knochenmark. Interferon fördert zusätzlich den Abbau überzähliger Blutzellen. Bei Unverträglichkeit oder ungenügender Wirksamkeit dieser Arzneimittel kommen alternativ andere Medikamente zum Einsatz, z. B. ein JAK2-Inhibitor, der die unkontrollierte Vermehrung der Stammzellen im Knochenmark unterdrückt.

Der Juckreiz lässt sich mit Antihistaminika oder UV-Licht behandeln.

Bei jungen Patient*innen mit Polyzythämia vera wird bei einem schweren Krankheitsverlauf auch eine Stammzelltransplantation in Betracht gezogen. Das heißt, dass die kranken körpereigenen Stammzellen zunächst durch eine Chemotherapie vollständig zerstört werden und anschließend gesunde Stammzellen übertragen werden, z. B. von gesunden Geschwistern oder anderen Familienmitgliedern oder auch von Fremdspender*innen.

Prognose

Die Prognose einer Polyglobulie hängt sehr von der auslösenden Ursache ab. Bei Raucher*innen kann schon eine Rauchentwöhnung helfen, um die Anzahl der roten Blutkörperchen wieder zu normalisieren. Chronische Lungen- und Herzerkrankungen sind dagegen oft nicht heilbar. Bei Tumorerkrankungen ist die Art des Tumors ausschlaggebend für die Prognose.

Die Polyzythämia vera lässt sich meist über viele Jahre gut kontrollieren und die Betroffenen können ein fast normales Leben führen. Die Erkrankung kann jedoch in eine Leukämie übergehen.

Unbehandelt beträgt die Überlebenszeit der Patient*innen wegen der lebensgefährlichen Gefäßverschlüsse nur wenige Jahre.

Ihre Apotheke empfiehlt

Was Sie selbst tun können

Rauchentwöhnung. Wie sehr das Rauchen die Gesundheit gefährdet, ist hinlänglich bekannt. Trotzdem fällt es den meisten Raucher*innen schwer, ihre Nikotinsucht in den Griff zu bekommen. Unterstützen kann Sie dabei ein Rauchentwöhnungsprogramm. Dieses umfasst neben verschiedenen Nikotinersatzprodukten auch ein Nichtrauchertraining (eine Form der Verhaltenstherapie) und die Schulung in alternativen Methoden zur Bedürfnisbefriedigung. Lassen Sie sich von Ihrer Ärzt*in und Apotheker*in dazu beraten.

Risikominimierung. Um das Risiko eines Gefäßverschlusses zu reduzieren, können Betroffene aktiv mitwirken. Bewegen Sie sich regelmäßig und vermeiden Sie langes Sitzen, um den Kreislauf in Schwung zu halten. Trinken Sie immer ausreichend Flüssigkeit, um ein noch stärkeres Eindicken des Blutes zu verhindern. Übergewicht sollte durch eine kontrollierte Gewichtsabnahme normalisiert werden.

Prävention

Außer durch eine allgemein gesunde Lebensweise lassen sich einer Polyglobulie und Polyzythämie nicht gezielt vorbeugen. Die Polyzythämia vera ist zwar nicht vererbbar, aber in manchen Familien treten myeloproliferative Erkrankungen besonders häufig auf. Wenn mehrere Familienmitglieder von einer Blut- oder Krebserkrankung betroffen sind, empfiehlt sich daher eine genetische Beratung in einer humangenetischen Praxis.

Weiterführende Informationen

Leben mit Blutkrankheiten

| Von: Dr. med. Nicole Menche, Dr. med. Arne Schäffler in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014). Überarbeitung und Aktualisierung: Daniela Grimm

Porphyrie

Porphyrie: seltene Stoffwechselstörung mit verschiedenen, meist angeborenen Bildungsstörungen der Häm-Komponente des roten Blutfarbstoffs. Hauptformen sind die akute intermittierende Porphyrie und die chronisch-hepatische Porphyrie.

Die Erkrankung

Das Eisen des roten Blutfarbstoffs ist an Porphyrin (ein ringförmiges Molekül) gebunden, beide zusammen werden als Häm bezeichnet. Ist nun durch ein Enzymdefekt die Porphyrinbildung gestört, wird dessen Produktion stark angekurbelt, da nur so ausreichend roter Blutfarbstoff hergestellt werden kann. Die dadurch im Überschuss produzierten atypischen und inkompletten Porphyrine werden nicht nur mit dem Urin ausgeschieden, sondern reichern sich auch vor allem in Haut, Knochen, Knorpel, Leber und Nervengewebe an und wirken dort toxisch.

Akute intermittierende Porphyrie. Bei der angeborenen akuten intermittierenden Porphyrie kommt es, ausgelöst durch Medikamente, Infektionen, Alkohol oder Fasten, zu Bauchbeschwerden und Herzrhythmusstörungen sowie möglicherweise zu Bewusstseinsstörungen, Lähmungen und anderen Ausfällen.

Chronisch-hepatische Porphyrie. Bei der ursächlich noch nicht ganz geklärten chronisch-hepatischen Porphyrie wird die Haut ab dem mittleren Erwachsenenalter sehr lichtempfindlich, wobei vor allem die Hautveränderungen der Hände auffällig sind. Zusätzlich zu Blutuntersuchungen ist eine Leberbiopsie nötig.

Das macht der Arzt

Akute intermittierende Porphyrie. Das Krankheitsbild ist oft so schwer, dass der Patient auf einer Intensivstation mit Infusionen behandelt werden muss. Die Aussichten bei der akuten intermittierenden Porphyrie sind gut, falls die Auslöser gemieden werden. Urin, der sich beim Stehenlassen rot verfärbt, tritt in der Hälfte der Fälle auf und sollte auch bei Beschwerdefreiheit durch Blut-, Urin- und Stuhluntersuchungen abgeklärt werden. Die Betroffenen erhalten dann einen Notfallausweis, aus dem auch die „sicheren“ und die „gefährlichen“ Medikamente hervorgehen.

Chronisch-hepatische Porphyrie. Können die Auslöser gemieden werden, allen voran Alkohol und die Einnahme einer Antibabypille, sind die Aussichten für die meisten Betroffenen gut.

| Von: Dr. med. Nicole Menche, Dr. med. Arne Schäffler in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014). Überarbeitung und Aktualisierung: Dr. med. Sonja Kempinski